Erschaffungswerk von Haydn
Die Schöpfung - Joseph Haydns Meisterleistung
Händel, Haydn und van Swieten: Die Genese der „Schöpfung'
Haydn begab sich in den frühen 1790er Jahren auf zwei Reisen nach England und brachte musikalische Erfahrungen mit nach Hause. In London gedachte man regelmäßig des bedeutenden Barockkomponisten Georg Friedrich Händel, der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England tätig war, mit Darbietungen. Noch heute gilt Händel als ein Meister des Oratoriums - man denke nur an seinen „Messias' mit dem weltberühmten „Hallelujah-Chor'. Die reiche Händel-Pflege in England hinterließ einen gewaltigen Eindruck bei Haydn. Wer ihm jedoch den finalen Impuls lieferte, die Welterschaffung als Oratorium zu vertonen, lässt sich heutzutage leider nicht mehr exakt rekonstruieren. Einen englischen Text für die „Schöpfung' erhielt Haydn vermutlich noch in England; Gerüchten zufolge sei das Libretto ursprünglich sogar für Händel gedacht gewesen.
Zurück in Wien fand Haydn in dem Baron und Diplomaten Gottfried van Swieten nicht nur einen Unterstützer, sondern ebenfalls einen Libretto-Übersetzer. Van Swieten, der im „Jahrbuch der Tonkunst von Wien und Prag' im Jahre 1796 als „Patriarch der Musik' bezeichnet wurde, organisierte zur Finanzierung des Projekts einen Zusammenschluss finanzstarker Adeliger. Haydn benannte diese Gruppierung in einem Schreiben später die „Associrten H.[errn] Cavaliers'. Zu diesen „Cavaliers' zählte auch Fürst Schwarzenberg, in dessen Stadtpalais die Erstaufführung realisiert wurde.
„Die Schöpfung' stellt das Resultat einer engen Kooperation zwischen Haydn und van Swieten dar. Aus späteren Berichten des schwedischen Diplomaten Fedrik Samuel Silverstolpe, der den Komponisten im Jahr 1797 kennenlernte, erfahren wir, wie diese gemeinsame Arbeit vonstattenging:
Allerdings arbeitete Haydn nicht nur in der Wiener Krügerstraße, sondern auch, bedingt durch seine Position als Kapellmeister der Fürsten Esterházy, in Eisenstadt. Dort befand sich das Clavichord, von dem er später geäußert haben soll, dass er den „größten Theil' seiner „Schöpfung' darauf geschaffen habe. Heutzutage befindet es sich im Royal College of Music in London.
Überhaupt war Haydn in seiner finalen Schaffensperiode sehr aktiv: Neben den vom Fürsten verlangten Messen zum Namenstag der Fürstin entstanden zusätzlich einige seiner bekanntesten Kompositionen, darunter das Oratorium „Die Jahreszeiten' (Hob. XXI:3) sowie das „Kaiserquartett' (Hob. III:77). Die schöpferische Kraft des doch schon betagten Komponisten erstaunte offenbar dessen Biograph Georg August Griesinger, denn dieser schrieb:
Haydn selbst soll seine Arbeit an der „Schöpfung' sogar als spirituelle Erfahrung tituliert haben:
„Die Schöpfung' war schließlich im Mai des Jahres 1798 vollendet, wie eine Nachricht an Fürst Schwarzenberg bezeugt. Für seinen Einsatz erhielt Haydn 2250 Gulden von den „Cavaliers' - zum Vergleich: Sein Jahresgehalt als Kapellmeister unter Fürst Esterházy belief sich im Jahr 1797 auf 1700 Gulden. Folglich verdiente Haydn bereits sehr gut.
Wovon handelt die „Schöpfung'?
Als sogenanntes Oratorium handelt es sich bei der Schöpfung um ein Werk mit geistlichem Inhalt, das konzertant dargeboten wird. Für den Inhalt orientierten sich das Duo Haydn und van Swieten an einer der wohl bekanntesten Erzählungen des Alten Testaments: Der Erschaffung der Welt.
Das Werk ist in drei Abschnitte unterteilt. Teil I und II behandeln die sechstägige Schöpfungsgeschichte gemäß dem Alten Testament. Zunächst regiert allerdings in der Einleitung noch das buchstäbliche Chaos: Die Welt existiert noch nicht. Das formlose „Davor' wird musikalisch skizziert. Erst dann nimmt die Schöpfungserzählung ihren Anfang. Die Tage eins bis vier, in welchen Himmel und Erde, das Licht, die Gewässer, die Landschaft sowie die Gestirne entstehen, bilden den ersten Abschnitt.
Weiter geht es im zweiten Abschnitt mit den Tagen fünf und sechs. Die Tiere und Menschen werden erschaffen.
Der dritte Abschnitt hält sich nicht derart eng an die Bibelvorlage, sondern erzählt von der ersten glückseligen Zeit des Menschenpaares Adam und Eva. Gewisse Passagen erinnern hier an das epische Gedicht „Paradise Lost' von John Milton. Der Sündenfall, der eigentlich einen wichtigen Bestandteil der Schöpfungsgeschichte sowohl in der Bibel als auch bei Milton darstellt, wird bei Haydn und van Swieten jedoch ausgespart.
Als Erzähler der „Schöpfung' fungieren die drei Engel Gabriel, Raphael und Uriel. Sie sind jedoch nicht nur Berichterstatter, sondern kommentieren auch soeben Geschaffenes und lobpreisen sich durch das Werk. Unterstützt werden sie dabei von einem Chor. Im dritten Abschnitt kommen Adam und Eva zu Wort, die von ihrer gegenseitigen Liebe und der Verehrung Gottes singen.
Bevor es zum unheilvollen Sündenfall mitsamt Schlange und verbotener Frucht kommt, ist die „Schöpfung' beendet - lediglich Uriels Warnung an das Menschenpaar, sich nicht der Verführung hinzugeben, deutet darauf hin. Mit einem Lobeschor und dem finalen „Amen' endet das Werk.
Für welche Instrumente und Stimmen wurde die „Schöpfung' komponiert?
Haydn konzipierte die Schöpfung für drei Gesangssolist:innen (Sopran, Tenor, Bass), einen vierstimmigen Chor sowie ein Orchester. Letzteres setzt sich wie folgt zusammen: drei Querflöten, zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte, ein Kontrafagott, zwei Waldhörner, zwei Trompeten, drei Posaunen, Pauken, erste und zweite Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass und Cembalo bzw. Hammerklavier. Haydn selbst wünschte sich angeblich eine große Besetzung für sein Werk:
Die Solist:innen intonieren die drei Engel Raphael (Bass), Uriel (Tenor) und Gabriel (Sopran) sowie das Menschenpaar Adam (Bass) und Eva (Sopran). Zumeist singt derselbe Sopran Gabriel und Eva, genauso übernimmt derselbe Bass oftmals Adam und Raphael. Trotz fünf Rollen kommen also häufig nur drei Solist:innen zum Einsatz. Jene Art der Rollenbesetzung mit drei Sänger:innen ist auch für die Aufführungen unter Haydns Führung verbürgt.
Welche Musikstücke der „Schöpfung' sind die bekanntesten?
Als besonders einprägsamer Moment der Schöpfung gilt die Ouvertüre beziehungsweise Einleitung mit der „Vorstellung des Chaos' und der darauffolgenden „Erschaffung des Lichts'.
Mit der für die damalige Zeit noch ungewöhnlichen „Chaosmusik' waren etliche Hörer:innen überfordert. Spätere Kritiker erblickten darin sogar eine Vorwegnahme romantischer Werke und fühlten sich an Richard Wagners Oper „Tristan' erinnert. Wenn das Licht bei Haydn sodann schließlich zum ersten Mal durch die Finsternis dringt, so tut es das im wahrsten Sinne in „strahlendem' C-Dur. Für die Zuhörer:innen der Uraufführung im Jahr 1798 war dieser Augenblick einem Bericht zufolge derart ergreifend, dass das Orchester für einige Minuten nicht weiterspielen konnte.
Eine der beliebtesten Arien aus der „Schöpfung' ist die des Uriels mit dem Titel „Mit Würd‘ und Hoheit angetan'. Uriel singt darin von der Erschaffung der Menschen. Unter Umständen ist einigen unserer Leser:innen aus dem Burgenland der Beginn der Arie bekannt: Die Melodie ähnelt stark einer 1910 aufgezeichneten burgenländischen Version des Volksliedes „Es steht ein Baum im tiefen Tal'. Hatte Haydn jenes Lied gegebenenfalls einst in Eisenstadt gehört und nutzte die Melodie bewusst für seine Arie? Oder war stattdessen die Arie so populär, dass sie sogar ihren Weg in die Volksmusik fand? Dies muss leider reine Spekulation bleiben.
Von den Chorstücken ist bis dato das hymnische „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes' das bekannteste.
Was zeichnet die Musik der „Schöpfung' aus?
Neben kunstvollen Arien, hymnischen Chören und volkstümlichen Motiven vernehmen wir in der „Schöpfung' zudem sogenannte Tonmalerei. Unter Tonmalerei versteht man die Imitation von Natur- oder Kulturerscheinungen - man denke an „Donnergrollen' durch Pauken oder „Vogelgezwitscher' durch Flöten.
Die Schöpfung bietet für diese Art der musikalischen Gestaltung allerlei Anlass: Bei der Darstellung von Wetterphänomenen werden Sturm und eben Donner imitiert, die Erschaffung der Vögel wartet mit einem musikalischen Adlerflug sowie Gezwitscher auf, und der Löwe feiert sein Dasein bei der Erschaffung der Landtiere mit lautem Gebrüll. Sogar Sonne, Mond und Sterne wurden von Haydn vertont: Den Sonnenaufgang stellt ein stetig lauter werdender Marschrhythmus dar, das Mondlicht begleiten sanfte Streicher, und ein leises Tremolo flimmert wie das Licht der Sterne. Selbst der C-Dur-Akkord, der das Licht signalisiert, kann als Tonmalerei bezeichnet werden.
Diese illustrierende Musik erwähnt gleichfalls Joseph Richter in seinen satirischen Schriften - den „Eipeldauer-Briefen'. Der „Eipeldauer' berichtet von der ersten öffentlichen Aufführung der „Schöpfung' wie folgt:
„Es lebe Vater Haydn!' - Die ersten Aufführungen der „Schöpfung'
Fürst Schwarzenberg, der zu der Gesellschaft der finanzierenden „Cavaliers' zählte, stellte sein Palais auf dem Wiener Mehlmarkt für die ersten Darbietungen der „Schöpfung' bereit. Die Uraufführung fand am 30. April des Jahres 1798 statt. Bereits die Proben dürften bei den Mitwirkenden und Zuhörenden eine derartige Begeisterung entfacht haben, dass sich dies herumsprach. Das Gedränge an den Aufführungstagen im April und Mai war jedenfalls derart immens, dass Fürst Schwarzenberg ordnende Maßnahmen ergreifen musste. Haydn dirigierte bei jenen Terminen höchstpersönlich, die Zuhörerschaft bestand zum größten Teil aus Adeligen.
Von Haydns Dirigat berichtet eindrucksvoll ein Bericht Fredrik Silverstolpes:
Die musikalische Erschaffung des Lichts habe im Wiener Publikum zu ausgelassenem Jubel geführt - Silverstolpe erinnerte sich:
Die erste öffentliche Darbietung der Schöpfung fand am 19. März 1799 im alten Burgtheater auf dem Wiener Michaelerplatz statt. Der Andrang war riesig, schon einen Monat vor Aufführungsbeginn war das Konzert nahezu ausverkauft. Joseph Richter liefert uns in seinen „Eipeldauer-Briefen' einen Eindruck von jenem Tag:
Im „Eipeldauer' lesen wir außerdem sehr eindrucksvoll von der Stimmung, die damals im Hoftheater vorherrschte:
Die Begeisterung, die durch die Schöpfungsaufführung nicht einzig beim „Eipeldauer' ausgelöst wurde, offenbart sich im letzten Satz am besten:
Der schwedische Musiker Johan Fredrik Berwald berichtet in seinen Memoiren sogar von Rufen aus dem Publikum, die man mit modernen Fan-Gesängen gleichsetzen kann:
Noch zu Lebzeiten Haydns wurden auch „Schöpfungs'-Benefizkonzerte veranstaltet, zum Teil unter persönlicher Leitung des Komponisten. Haydn erhielt für diese unentgeltlichen Darbietungen die zwölffache goldene Bürgermedaille vom Magistrat der Stadt Wien (im Jahr 1803) und später das Ehrenbürgerrecht (im Jahr 1804).
„Die Schöpfung' für jeden: Ein Werk erobert Europa
Die Schöpfung wurde schon rasch in ganz Europa mit Übersetzung in die jeweilige Landessprache aufgeführt - und dies trotz der zu jener Zeit vorherrschenden Koalitions- beziehungsweise napoleonischen Kriege. Der Haydn-Experte Georg Feder bezeichnet demzufolge die Schöpfung als „[…] geradezu das musikalische Symbol der trotz aller Kriegswirren fortbestehenden gemeinsamen europäischen Kultur.'
Sogar in Frankreich, dem militärischen Gegner Österreichs, führte man das Werk um den Jahreswechsel 1800/1801 unter großem Beifall auf. Auf dem Weg zu einem derartigen Konzert am 24. Dezember des Jahres 1800 wurde auf Napoleon Bonaparte ein Attentat verübt, das ebenfalls Tote und Verletzte gefordert hatte. Die Darbietung wurde trotzdem wie geplant durchgeführt.
Mit der Frage, weshalb die „Schöpfung' einen derart durchschlagenden Erfolg verbuchen konnte, haben sich schon etliche Musikwissenschaftler auseinandergesetzt. Die Erklärungsansätze sind unterschiedlich:
Die „Schöpfung' gründet zwar auf einem religiösen Inhalt, trägt aber ebenfalls aufklärerisch-tolerante Züge. Das Werk entstand in einer Epoche, in der alte gesellschaftliche, religiöse und politische Strukturen infrage gestellt wurden. „Die Schöpfung' geht einen sehr moderaten Weg: Nicht der Sündenfall und die Erlösung stehen dabei im Vordergrund, stattdessen wird die Schönheit des Diesseits gepriesen. Musikwissenschaftler wie Martin Stern sehen darin den weitreichenden Erfolg des Werks, denn mit der fröhlichen, weltbejahenden Stimmung konnten Menschen verschiedener Glaubens- und Werterichtungen etwas anfangen.
A. Peter Brown erklärt sich die große Popularität vor allem anhand der Kombination aus volkstümlicher Musik und gelehrter Kunst. In der Schöpfung ist also gleichfalls in musikalischer Hinsicht für jeden etwas vorhanden: Eingängige Melodien stehen gleichwertig neben Experimenten wie der „Vorstellung des Chaos', hymnische Lobeschöre finden genauso ihren Platz wie Imitationen von Tierlauten.
Und wie beurteilte Haydn selbst seine „Schöpfung'? Zu seinem Biographen Georg August Griesinger soll er gesagt haben:
Er sollte Recht behalten: Bis zum heutigen Tag zählt die „Schöpfung' zu Haydns meistaufgeführten Werken.