Dolmetscher vor Gericht
Sachverständige Dolmetscher und Übersetzer im Gerichtssaal
Allgemein vereidigte, öffentlich bestellte oder ermächtigte Dolmetscher sowie Übersetzer werden in Gerichts- und Ermittlungsverfahren bei nicht deutschsprachigen Beteiligten regelmäßig eingesetzt. Ihre Aufgabe besteht beispielsweise im Dolmetschen während Ermittlungs- und Hauptverfahren sowie im Übersetzen von verfahrensrelevanten Dokumenten. Für diese Dienstleistungen werden sie gemäß dem JVEG entschädigt, welches Bestimmungen zu den Arten des Dolmetschens sowie die Zeilenhonorare für die Übersetzungsaufträge festlegt.
Es kommt jedoch immer häufiger vor, dass - insbesondere während der Hauptverhandlung - Dolmetscher und/oder Übersetzer hinzugezogen werden, um als Gutachter tätig zu sein. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn bereits im Ermittlungsverfahren erbrachte Dolmetsch- und/ oder Übersetzungsarbeiten angezweifelt werden und einer erneuten Überprüfung unterzogen werden müssen, oder wenn anhand der Sprache oder des Dialekts einer betroffenen Person Rückschlüsse auf ihre Herkunft gezogen werden sollen. Angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation in der Bundesrepublik Deutschland wird in den Medien zunehmend berichtet, dass gerade im letztgenannten Fall entsprechende Einschätzungen von Dolmetschern gegenüber den zuständigen Behörden geäußert werden.
Begutachtung bereits erbrachter Dolmetsch- bzw. Übersetzungsleistungen im Strafverfahren
Da Dolmetschleistungen mündlich entweder simultan oder konsekutiv erbracht werden, setzt eine Evaluation des Gesagten und der Dolmetschung die Anwesenheit eines zweiten Dolmetschers voraus, es sei denn, das Gespräch wurde aufgezeichnet und dem Zweitdolmetscher zur Verfügung gestellt. Derartige Konstellationen kommen vor, dürften jedoch im Hinblick auf die thematisierte Tätigkeit des Dolmetschers und/oder Übersetzers als Sachverständiger aufgrund der reinen Häufigkeit von untergeordneter Bedeutung sein, da der Zweitdolmetscher zur Evaluation in der Regel eine zweite Verdolmetschung anfertigt - die von der ersten abweichen kann, aber nicht notwendigerweise eine Verbesserung darstellt. Somit unterscheidet sich seine Tätigkeit hier nicht von der ursprünglichen Verdolmetschungstätigkeit, wie sie vom Erstdolmetscher durchgeführt wird. Das Gleiche gilt für Zweitübersetzungen, die unabhängig von der Erstübersetzung beauftragt und angefertigt werden. Obwohl eine Übersetzung schriftlich erfolgt, unterscheidet sich diese - betrachtet man die eigentliche Tätigkeit - abgesehen von zeitlichen und/oder örtlichen Unterschieden nicht. Wichtig ist hierbei jedoch zu betonen, dass die Zweitübersetzung unabhängig und separat ohne Kenntnis der Erstübersetzung erstellt werden sollte. Es handelt sich somit nicht um eine vergleichende Übersetzung, da der Vergleich der Versionen selbst (also der Vorgang des Vergleichens) nicht vom Übersetzer, sondern von einer dritten Person durchgeführt wird.
Eine andere Situation ergibt sich bereits, wenn es sich nicht um eine zweite, unabhängige und separate Übersetzung handelt, sondern diese bereits als vergleichende Übersetzung konzipiert ist und die Erstübersetzung kritisch reflektiert oder sogar in einer Analyse untersucht. Hier kann davon ausgegangen werden, dass die Tätigkeit schon aufgrund ihres Charakters über die reine Übersetzungstätigkeit hinausgeht.
Noch deutlicher wird die Unterscheidung, wenn die Erstübersetzung auf bestimmte Aspekte (wie beispielsweise Richtigkeit, Vollständigkeit usw.) hin untersucht und/oder inhaltlich, sprachlich und gegebenenfalls auch stilistisch analysiert wird. Um die festgestellten Befunde zu verdeutlichen, kann es zu einer Zweitübersetzung kommen, die sich auch nur auszugsweise auf bestimmte - möglicherweise problematische - Textstellen bezieht, um eventuelle Schwächen der Erstübersetzung zu verdeutlichen. In jedem Fall weist die sachverständige Beurteilung und Überprüfung von - wie hier - Übersetzungsleistungen sowohl einen anderen Bezugsrahmen als auch einen anderen Tätigkeitsrahmen bzw. andere Merkmale der Tätigkeit auf:
Differenzierung zwischen Übersetzen und sachverständiger Begutachtung von Übersetzungen
Tätigkeitsbereich / Übersetzung / sachverständige Begutachtung
Terminologische Analyse des Ausgangstextes / √ / √
Terminologische Analyse des Zieltexts / / √
Inhaltliche Analyse des Ausgangstextes / √ / √
Inhaltliche Analyse des Zieltexts / / √
Sprachliche Analyse des Ausgangstextes / √ / √
Sprachliche Analyse des Zieltexts / / √
ggf. stilistische Analyse des Ausgangstexts / √ / √
ggf. stilistische Analyse des Zieltexts / / √
Übersetzen des Ausgangstexts / √ / (√)
Vergleich / / √
Schlussfolgerung / / √
Bezugsrahmen
Ausgangstext / √ / √
Zieltext / / √
Diese eher knapp gehaltene Darstellung verdeutlicht, dass die sachverständige Begutachtung einer Übersetzung etwas anderes darstellt als die Anfertigung der Übersetzung bzw. die translatorische Tätigkeit selbst. Die sachverständige Begutachtung muss sich schon aus Gründen des Vergleichs einer anderen Methodik bedienen, als sie beim Vorgang des Übersetzens zur Anwendung gelangt. Aus diesem Grund kann eine sachverständige Tätigkeit im obigen Sinne nicht unter die Tätigkeit des Übersetzens eingeordnet werden. Das Gleiche gilt für die in der Praxis noch seltenen Fälle, in denen eine aufgezeichnete Verdolmetschung einer ähnlichen Analyse und Beurteilung unterzogen wird.
Diesem Sachverhalt sollte auch in den einschlägigen Regelungen Rechnung getragen werden. In der gutachterlichen Prüfung von Übersetzungen tätige Dolmetscher und/oder Übersetzer finden nicht nur im Katalog des JVEG keine Kategorie, der sie diese Tätigkeit zuordnen könnten - das JVEG kennt Dolmetscher und Übersetzer lediglich als separate Einheiten und beschränkt sich auf die reinen Tätigkeiten des Dolmetschens und Übersetzens -, sondern auch über die ZPO hinaus keine anderen Regelwerke, auf die sie sich bei der Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten stützen können. Bezüglich der Vergütung nach JVEG scheinen beurteilend tätige Dolmetscher und Übersetzer sich lediglich auf die im JVEG angegebenen Honorarsätze für das Dolmetschen und Übersetzen beziehen zu können, obwohl ihre Tätigkeit inhaltlich und methodisch über diese Arbeiten hinausgeht.
Diese erkennbare Regelungslücke sollte bereits angesichts der Kostenintensität der in der Praxis betroffenen Fälle (wie beispielsweise umfangreiche Maßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung und ihre Beweisverwertbarkeit im Strafprozess) geschlossen werden. Eine entsprechende Regelung sollte sich nicht nur im JVEG widerspiegeln, sondern auch in den sogenannten Dolmetschergesetzen der Länder, die eine gute Gelegenheit bieten würden, auch auf qualifizierende Kriterien für diese Tätigkeit Bezug zu nehmen.